Wortheldin November 2015

Ich schreibe immer und wenn ich schreibe, bin ich glücklich.

– habe ich Dominik Leitner auf seine Frage geantwortet, ob ich eher kreativ bin, wenn ich glücklich oder wenn ich traurig bin.

Das restliche Interview zu meiner Arbeit als Schriftstellerin findet ihr auf seinem Blog NeonWilderness, wo ich als Wortheldin des Monats November auftrete.

Vielen Dank Dominik, für deine Frage an mich und den Gastauftritt.

Wortheldin November 2015

Performatives Sein

Teil 1
Ich war schon lange nicht mehr am Meer. Ich bin eher am Fluss. Ich werfe die Füße ins Wasser und vermisse Menschen.

Teil 2

Hier ist meine Haut — sie ist angeblich die Grenze zwischen mir und der Welt. Es ist leicht, diese Grenze zu sprengen. Ich kann ein Messer nehmen und rein schneiden — das ist einfach. Aber dannkommt nur Blut heraus — und es ist keine Welt, die hinein kommt.

Ich verstehe das einfach nicht. Ich verstehe nicht, wie man in ganz tiefer Verbundenheit — verstehen Sie das? Es ist ja schon fast eine Einheit! Ich verstehe nicht, wie man in dieser tiefen Einheit zu einem anderen Menschen auf die Welt kommen kann, um dann isoliert zu sein. Entschuldigen Sie,
aber das verstehe ich nicht. Können Sie mir das erklären? Nein? Wollen Sie nicht? Sie wissen es selbst nicht!

Ich habe mir Ihnen zu liebe auf die Lippe gebissen und in die Finger — hier: Ich blute.

ICH BLUTE!

Das muss dich doch berühren. Wieso berührt dich das nicht. Wieso rührst du dich nicht?

Teil 3

Ich glaube, ich bin verliebt. Ich habe mich in deine Vergangenheit verliebt als Sartre schrieb: Es gibt nur leben oder erzählen. Leck meine Gedanken ab und gegen deine Mauer. Ich möchte sehr selbstbestimmt und feministisch gegen die Wand gedrückt werden.

DU IST EINE MAUER, DIE ICH NIE DURCHDRINGEN WIRD.

Ich meine, ist Ich jetzt ein Begriff, eine Vorstellung oder eine Handlung.

Alles beginnt damit, dass ich vorbei gehe. Die Haut perlt langsam von mir ab — so stelle ich mir ihre Berührung mit dem Wasser vor. Es kann nur ein Kampf sein. Jeder Tropfen nimmt ein Stück von ihr mit und wenn ich nur lange genug unter der Dusche bleibe, bin ich endlich verschwunden. Nur die
ganzen Dinge, die sind dann noch da. Die ganzen Dinge können dann meine Geschichte erzählen, wie dieses viel zu heiße Duschen hier. Ich könnte jetzt behaupten, ich dusche nur so heiß, um endlich etwas zu spüren: Wärme. Um Wärme zu spüren und meinen Körper und meine Hautpartikel, die langsam anfangen zu brennen. Weil das romantisch ist. Weil es ein sehr romantisches Bild ist, Frauen die unter der Dusche brennen. Weil das bedeutet, dass etwas passiert — in mir. Duschszenen sind dafür vorgesehen, den Protagonisten zu einem inneren Monolog anzuregen, seine Entwicklung zu reflektieren oder den Status quo — wo er/sie/es gerade steht. Ich stehe unter der Dusche und ich will verschwinden und das Wasser ist sehr heiß und ich spüre meinen Körper.

Teil 4

Ich bin noch da! Ich bin noch da, ich bin noch da, ich bin noch da. ICH BIN DA.

Es muss etwas passieren.
07:07 Uhr: Körperlicher Zerfall setzt ein. Ich bekomme den Geschmack nicht von den Lippen. Ich habe keinen Durst. Ich habe keinen Hunger.

Die Nacht zur Nacht machen. Dann schlägt der Körper mit voller Wucht auf mich ein — ich bin wieder da. Alles ist wieder da. Dieses ganze Ich ist wieder da. Dann merke ich erst, wie berauscht ich von diesem Moment war. Als da noch kein Ich war. Als da nur Gegenwart war und Gegenwart bedeutet: kein Ich. Wer sagt: Wir sind der Normalzustand — der Mensch in seiner Reinheit — das wissen wir nicht. Wir wissen nichts.

Ist Weiblichkeit jetzt eine Fessel, ein Korsette, eine Strafe? Meine Muschi, meine Strafe! Sie will andere Dinge als ich. Sie will dich partout nicht los lassen. Und meine Lippen, meine Lippen, meineLippen wollen dich nicht loslassen.

Ich pflege lange Sprachlosigkeit — sind zwei zu viel oder brauche ich dich, um ich zu sein  — ich will schon wieder Liebeslieder schreien aber du sagt, ich könne nicht lieben. Du sagst, ich sei arrogant, weil ich so viel mehr liebe, als alle anderen. Vielleicht kann ja keiner lieben. Verstehst du denn meine Liebe nicht? Ich brauche jemanden, jemanden um mich zu ersetzen. Um hier Draußen zu liegen, hier Draußen zu liegen bedeckt mit Blättern. Wenn ihr sie seht, lasst sie wissen, dass ich es geschafft habe. Ich habe es geschafft. Wenn ihr sie gefangen habt, sagt ihr, dass ich hier bin. Wir sitzen hier und fragen uns, ob dein, dein, dein spezielles Licht glüht. Ich brauche jemanden, jemanden um mich zu ersetzen. Um hier zu bleiben, hier zu bleiben und zu brennen in diesen Flammen. Und wenn ihr sie seht, lasst sie wissen, dass ich es geschafft habe. Ich habe es geschafft. Und wenn ihr sie gefangen habt, sagt
ihr, dass ich hier bin. Ich bin hier.

Aber was mir niemand verraten hat:
Das Licht, das Licht, das Licht verheimlicht das Sterben vor dem Leben.

Performatives Sein

Eins

Alles beginnt damit, dass ich vorbei gehe. Die Haut perlt langsam von mir ab – so stelle ich mir ihre Berührung mit dem Wasser vor. Es kann nur ein Kampf sein. Jeder Tropfen nimmt ein Stück von ihr mit und wenn ich nur lange genug unter der Dusche bleibe, bin ich endlich verschwunden. Nur die ganzen Dinge, die sind dann noch da. Die ganzen Dinge können dann meine Geschichte erzählen, wie dieses viel zu heiße Duschen hier. Ich könnte jetzt behaupten, ich dusche nur so heiß, um endlich etwas zu spüren: Wärme. Um Wärme zu spüren und meinen Körper und meine Hautpartikel, die langsam anfangen zu brennen. Weil das romantisch ist. Weil es ein sehr romantisches Bild ist, Frauen die unter der Dusche brennen. Weil das bedeutet, dass etwas passiert – in mir. Duschszenen sind dafür vorgesehen, den Protagonisten zu einem inneren Monolog anzuregen, seine Entwicklung zu reflektieren oder den Status quo – wo er/sie/es gerade steht. Ich stehe unter der Dusche und ich will verschwinden und das Wasser ist sehr heiß und ich spüre meinen Körper.

Plötzliches Aufflackern von Erinnerungen – eine Stadt, ein Platz, ein Café. Nur wo. Und mit wem. Ich erinnere mich nicht. Ich sehe nur den Platz, ich sehe mich den Platz überqueren und in ein Café gehen und sitzen mit Blick auf den Platz. Vielleicht ist es Prag oder Wien. Gegenstand der Geschichte ist eine Erinnerung, an die ich mich nicht erinnern kann und Gegenstand ist ein interessantes Wort – etwas, dass in der Gegend steht. Hier sind sehr viele Gegenstände. Ich bin umgezogen aber schon vor einer ganzen Weile. Das warme Wasser ist vergangen. Ich bin noch da. Am Morgen danach trage ich mir noch schnell einen Spritzer seines Parfums auf, bevor ich dann für immer verschwinde. Ich mag den Gedanken, dass er mich durch den Tag begleitet und M. abends fragt, ob ich ein neues Parfum habe. „Fickst du jetzt dein Date?“ fragt M. „Ja, gib mir die Bistümer. Damals! Vor der Säkularisation! War! Das! So! Geil.“ und dann „Es würde mich nicht stören, wenn du mit ihm schläfst. Stören würde mich nur, wenn du irgendjemanden besser findest als mich.“

Ich bin noch da! Ich bin noch da, ich bin noch da, ich bin noch da. Also muss ich mich beeilen. Wenn ich dann wirklich mal verschlafe, habe ich die Entschuldigung „Verschlafen“ schon bei den letzten 356 Mal Zuspätkommen verbraucht. Ich weiß gar nicht, wann die alle angefangen haben, auszuflippen – wann die sich plötzlich um einen Job gekümmert haben und der Schlaf vor 24 Uhr so unglaublich erholsam geworden ist und plötzlich sind alle zusammen gezogen und gründen Familien und selbst Edna schaut sich Bilder von Hochzeiten an, ohne zu kotzen. 8,50 die Stunde motivieren mich auf jeden Fall nicht zu einer besonders hohen Arbeitsmoral und ich bin eine Stunde zu spät und hoffe, niemand merkt es.

Es ist der 23. Oktober und das einzige, woran ich denken kann, ist die Zahl 23 und Primzahlen – ich denke an die Ästhetik von Primzahlen. Es ist unlogisch. Es fehlt der Antagonist oder zumindest diese andere Person, an der man seine eigene Erzählung abarbeiten kann. Es reden immer zwei miteinander, es kommt zu absurden Begegnungen und Dialogen und jedes dieser Ichs entwickelt sich. DU IST EINE MAUER, DIE ICH NIE DURCHDRINGEN WIRD. Ich sitze in der U-Bahn. Ich schau ihn lange an. Er trägt so eine ganz typische Hipsterbrille mit sehr dickem Rahmen auf einer großen, spitzen Nase und ich entdecke gerade meine Leidenschaft für große, spitze Nasen und seinen klaren Blick, während er so ein bisschen mit dem Kopf wippt. Ich tippe ihm ans Bein, er nimmt die Kopfhörer ab: „Fahren wir heute Abend zusammen zu dieser Ausstellung?“ er zuckt mit der Schulter: „Ich muss auf jeden Fall bis 18 oder 19 Uhr arbeiten – willst du dann zum Essen kommen, dann fahren wir zusammen.“ Ich nicke. Wir haben uns vor ein zwei Jahren kennen gelernt – er ist Freelancer im Graphikbereich und hat ein zwei Wochen bei mir in der Firma mitgearbeitet. Wir haben zusammen im Innenhof geraucht und über Kunst gequatscht und uns dann auch privat getroffen. Zuerst dachte ich, er sei schwul, weil ich so ein bisschen in ihn verliebt war, wir haben rumgemacht auf einer Party, ziemlich betrunken, fanden dann aber beide, dass es eher so ein Freundschaftsding ist. Wir wohnen nicht weit von einander und treffen uns ab und an in der U-Bahn und gehen zusammen zu Vernissagen und Ausstellungen. Frank. Frank scheint mir ein guter Name zu sein und Frank wippt sehr hübsch zu der Musik in seinem Kopf. Als Frank dann aussteigt (dabei positioniere ich meine Beine genau so, dass er sie beim Vorbeigehen berühren muss) – als Frank dann aussteigt, bin ich ein bisschen traurig, dass wir uns nie wieder sehen werden.

Eins