In der Bar Vor Wien will ich die Zeit zurück drehen. Nachts, wenn die Wände dünner werden. Und die Worte. Weit zurück, weiter. Am besten bis in die Kindheit zurück, als alles noch so viel größer war – als alles noch große Umarmungen war. Als der einzige Ich-Verlust darin bestand, schlafen gehen zu müssen – ins Ungewisse. In der Bar Vor Wien drehe ich die Zeit zurück.
Psychose. Ist doch klar, worüber ich schreiben will. Über den Wahnsinn. Über die Einsamkeit. Über die Isolation – in sich gefangen, niemals aus sich raus kommen, niemanden berühren, von allem berührt sein, immer in diesem Zustand dazwischen, immer auf der Suche nach Nähe, immer in dieser Sehnsucht, in jedem das Nahe suchen, in jedem das Nahe verstummen. Die ausgedehnte Fühligkeit ausharren, ihr Zehren an der Existenz ertragen. Ich kann mich selbst hassen und trotzdem weiter da sein. Diese ewige Dissonanz. Aushalten. Während das ganze Bewusstsein gegen die eigenen Grenzen pocht, schlägt, erschlagen sein, immer heftiger, das Staccato. Schreiben, weil ich nicht reden kann. Ich bin viel zu weit weg von mir, so bald ich den Mund öffne.
In jedem die Nähe verstummen. Verschluckt in der eigenen Unzulänglichkeit. Erbärmlichkeit. WEIL ICH ES NICHT ERTRAGE, WENN DU DA BIST. Weil es mich anekelt, wenn du mich UNAUSPRECHLICH (magst, willst, schön findest, gut findest, charmant, intelligent, menschlich, wenn du den Mensch findest) – wenn da etwas ist, wenn ich dich nur berühren könnte, bevor ich verbrenne. WEIL DA IST NICHTS IN MIR. Kill me Sarah, kill me again. Warten. Warten auf das Alleinsein. Ich zerfalle lieber stumm für mich.
Und die Anderen, die können das. Die können leben, ohne Warten. So erscheint es mir. Die Anderen können da sein, ohne zu sterben, ohne in dieser Isolation zu versinken. Ich will es nicht mehr umschreiben, in schöne Worte packen, weniger angreifbare Worte packen – ich will es ganz zum Ausdruck bringen. Ich will verstehen, warum es nie genug ist, warum ich nie genug bin, warum jedes Gefühl an die Grenzen geht und doch im flauen leeren Magen stumm für sich verhallt.
Nichts reicht mir, alles ist zu viel. Und ich. Ich bin zu viel und reiche niemals. Also baue ich mich um alles herum, nehme mich auch ganz raus, wenn es so besser ist, bin gern im Schatten, nie ganz da, immer zu weit entfernt von allem und jedem. Immer diese Mauern. Ich stelle mir mich selbst als kleines Mädchen vor. Es ist sitzt in der Mitte eines leeren Zimmers ohne Türen, ohne Fenster und die Mauern bewegen sich. Manchmal sind sie mir sehr nahe, aber ich kann sie nicht berühren und manchmal sind sie sehr weit entfernt und der Raum wird immer größer und größer aber ich kann die Mauern sehen, selbst wenn sie schon lange hinter dem Horizont verschwunden sind.
Das bin ich. Und diese Angst, jemand entdeckt, dass da nichts ist – in mir. So etwas wie die Ohren zuhalten und Lalalala singen nur für das Dasein. Gegen diese Mauern singen, die zugleich mich und alle andern verhindern. Hier passiert jetzt nichts mehr. Hier ist nur noch Nacht. Schreiben, weil ich nicht sprechen kann. Reden. Weil nichts über meine Lippen kommt. Weil ich nicht existiere – nur jetzt, Worte, eine Annäherung an mich selbst. Eine Annäherung an das Ich. Oder mich. Ist doch klar, worüber ich schreiben will – über dieses Gefängnis.
Ich stelle mir die Seele als Styroporplatte vor. Und jeder Mensch hinterlässt da seine Abdrücke. So ganz beiläufig – die meistens bemerken es nicht ein mal. Und aus der glatten Fläche ist etwas Unebenes geworden. Druckstellen eines Lebens. Aber ich will es nicht Leben nennen. Nennen wir es Existenz.
Sind die anderen wirklich alle glücklich oder haben sie es besser gelernt, so zu tun. Alles ist immer nur Selbstgespräch. Alles ist nur Vergewisserung seiner selbst. Ich bin ja noch da. Vor dem großen Verlust. Ich bekomme keinen zweiten Kaffee, weil sie mich vergessen habe. Also laufe ich nach Hause und vielleicht beruhige ich mich endlich. Vielleicht komme ich dann zur Ruhe, wenn ich nur lange genug laufe. Irgendwann wird es schon vorbei sein. Irgendwann. Dann fängt alles wieder von vorne an.