An welchem Todestag wurdest du geboren

Ich kann vor mir selbst nicht fliehen. Das heißt: Vor niemandem – fliehen, fliehen.
Außer im Tod.
Die ultimative Flucht.
Und dann ist man immer so traurig. Die und der ist tot, gestorben, Krebs oder Drogen oder Selbstmord. An welchem Todestag wurdest du geboren.

Ich rechne immer mit dem Schlimmste. Also Stille, Stillstand, Tod.
Aber am ehesten noch Stille. Und Stille ist schlimmer als Tod – denn immer dort, wo etwas sein könnte, dort ist das Schreckliche.

 

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Schau nicht auf die Zeit, schau nur: Hast du dich schon komplett zu Ende gedacht, oder kommt da noch etwas. Versuchst du immer noch verzweifelt einen Weg durch dich selbst zu finden. So auf Zehenspitzen gegen den Verfall.
Und die Schuld, die Apfelschuld. Die Apfelschuld immer um sich selbst zu wissen – sich wissen. Sich Wahrheit wissen. Und zu wissen, wie viel zu viel ich bin.

Nicht noch ein innerer Monolog der berlinerischen Beziehungsunfähigkeit.
Beziehungsunfähigkeit ist simples: Du nicht. Rumgewippe mit den Beinen – die Kokser und Koketteriemenschen.

»Wie bekomm ich das jetzt rund und von mir ab. Wie werde ich denn jetzt zu dem Menschen, bei dem auch mal jemand bleiben will – so einfach da bleiben, einfach sein.« – Sirenengesänge, Klagelieder.

Ich bin schon wieder so komplett aufgerieben – ich hasse mich. Ich hasse meinen Körper und mein ganzes Dasein. Ich hasse es, ich zu sein. Ich weiß, dass das eine Krankheit ist – und irgendwie ist es nicht echt aber sehr real. Ich hasse es, dass andere Menschen so simpel in zwischenmenschliche Situationen hinein und eben so simpel wieder heraus driften können. Und ich nicht. An mir bleibt alles haften. Jeder bleibt haften. IN ÖSTERREICH BEDEUTET ANGREIFEN BERÜHREN. An mir bleibt dieses Vorbeigehen haften – das Passieren meiner Person, obgleich ich nicht passiere. Also ich passiere nicht – in dir nicht und dir und dir und dir nicht. Und ich kann es nur aus der Perspektive derer sehen, die vorbeigehen. Ich sehe mich dann als „es war schön, aber“ – und die Aberliste ist lang. Aber ich habe kein Gefühl, aber da ist noch Jemand anderes, aber ich hänge noch an Jemand anderem, aber ich kann mich nicht festlegen, aber so bin ich halt, aber, aber, aber. Und ich, ich, ich, ich ich – ich bin zu viel. Komplett offen zu viel.

Das Selbstbewußtsein ist an und für sich, indem, und dadurch, daß es für ein anderes an und für sich ist, d.h. es ist nur als Anerkanntes.

Kapitel Zwei ist dann: Ekel.

Ja, das ist auch irgendwie albern. Mir ist das selbst peinlich – so offen zu sein und sensibel und so überhaupt nichts trennen zu können und absolut keine Distanz zu haben. Ja, ich hasse es, keine Distanz zu haben – zur Welt oder den Menschen oder mir selbst. Ich bin all dem viel zu nah. Ich bin all dem viel zu nah, es sei denn, ich bin leer – Leere bedeutet, von allem so weit entfernt zu sein, dass ich absolut nichts spüre. Es gibt diese zwei Zustände in mir. Die Leere hasse ich auch.

Ich will ja auch raus aus diesem Körper – und mir. Ich verstehe das, morgens.
Zum wievielten Mal neben einem Typen aufgewacht und alles ist.

»Ich kann nur noch zu Bitter Sweet Symphony weinen.« – »Meine Exfreundin wollte immer, dass ich sie zu Bitter Sweet Symphony in den Arsch ficke.«
Immer sagen sie, es sei so schön mit mir – oder dann diese Abschiede in der U-Bahn. Tschüss. Eine Umarmung als würde man sich am Abend wieder sehen oder zumindest in ein paar Tagen oder einer Woche, aber in Wahrheit sehen wir uns nie wieder.

Keine Geschichte. Nur Enden.
Ich sterbe so im Kopf vor mich hin. Heiße Nervosität. Ich habe mir sehr erfolgreich 1000 Km entfernte Sehnsuchtsorte eingerichtet. Wohin jetzt mit meinem Verlangen/Ekel/Ich/Ich/Ich.

Also: An welchem Todestag wurdest du geboren.

 

An welchem Todestag wurdest du geboren