6 Gedanken zu “vergessen

  1. Mir fällt nur auf dieses „irgendwo da draußen“, nachdem du im Gedicht davor „irgendwo da vorne“ hattest. Die „irgend“-Wörter sind Weichzeichnereffekte. Hier ganz schön, weil die Unschärfe und das Verbleichen zum Vergessen gehört (nicht mehr wissen, wo?). Kann man aber auch weglassen. Und wenn man es weglässt, kann man es umdrehen. Dann würde das Gedicht vielleicht bestürzender („Da drinnen ein Mensch, der hat vergessen. Wer du bist.“)? Es ist dann entweder eine „Selbstvergesserin“. Oder es taucht ein Bild auf auf wie … durch eine Straße gehen, stehen bleiben, hochblicken am Haus, nach dem ganz bestimmten Fenster suchen … _da_ drinnen ein Mensch, der hat vergessen. Und es darf einen nicht wundern, denn das Vergessen hat man immer auch in sich selbst. Wenn man immer nur am langen Strand der Erinnerungen wandern würde, das wäre eine schwere Wanderung … das fiel mir gerade so ein an dieser Stelle.

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    1. Ja stimmt. Erinnerung und Identität als Erinnerung sind gerade Themen bei mir. Letztlich habe ich bei den Zeilen einfach nur an die Menschen gedacht, zu denen man mal eine feste, vielleicht auch lange Bidung hatte und Jahre später hat man sich vergessen. Ich frage mich nur, woher dieses Vergessen kommt – wie man überhaupt Menschen vergessen kann, die einem mal nahe waren. Wie auch immer – interessante Gedanken. Danke für deinen Kommentar.

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  2. Ach, jetzt verstehe ich das mit den zwei Strängen.
    „Mir ein unfassliches Gesetz, das so Vertraute wieder in Fremde verwandelt“, formulierte es B. Strauss.
    Vermutlich macht das die Zeit, die sich – eben – teilt in zwei „timelines“, zwei Flüsse. Schön für die, die trotzdem mit einem dünnen Faden verbunden bleiben, einen „Quellcode“ gemeinsam behalten.

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    1. Aber auch wenn sich die Wege trennen – so sagt man doch so schön – und aus den Augen aus dem Sinn und diese ganzen Floskeln … auch wenn all das der Fall ist, kommt es mir komisch, gar seltsam vor … na, man vergisst auch irgendwie seine Vergangenheit – manchmal kommt es mir so vor. Problematisch wird es dann, wenn man die Identität als Geschichte sieht – sich selbst als Gesichte erzählen oder sich in einer Geschichte erzählen – we auch immer. Ich für meinen Teil schreibe gegen mein Vergessen und gebe gerne zu, dass ich ein Geschichtenerzähler bin.

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    2. und ja – die irgend-Wortketten sind Weichzeichner weil es eben auch nicht wirklich etwas Handfestes ist sondern einfach diffus. Aber ich finde das okay.

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  3. Mich beschäftigt seit einiger Zeit die Frage, was der Wert des Verwischens und Weichzeichners ist, und ich meine, dass die Unschärfen paradoxerweise zu mehr Schärfe, mehr Aufmerksamkeit, mehr Intensität in der Wahrnehmung führen. Nimm die Bilder von G. Richter, in denen er Fotos aus seinem Fundus nachgemalt hat, wobei er die Bilder bewusst verschwommen gemacht hat (ich glaube mit Terpentin-Sprühnebel). Es ist ein Spiel des Konkreten mit dem Unkonkreten. Und was passiert dann? Der Betrachter muss selbst Schärfe herstellen: So betrachtet man die Bilder länger, faszinierter und fragender, wenn sie diese Unschärfen haben. Lyrik braucht daher auch Unschärfe: Sie entzieht der Sprache die plumpe Eindeutigkeit, dann strömt ein Assoziationsgeflimmer in die konreten Worte hinein. Manchmal geht das auch über Paradoxes (ungefähr wie „irgendwo da draußen, eine Atemlänge entfernt, ist ein Mensch, der hat vergessen, wer du bist“) … oder irgendwie so ;)

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