vakant (2/12)

Ihr Blick geht über den Tisch – dann lächelt sie: „Mich macht diese Vorstellung irgendwie traurig.“ An ihren langen Fingern ist noch etwas Russ und die glatte Fläche des Tisches färbt sich leicht Grau, wie sie langsam die Tabakkrümel von der Kante streicht. Mir bleibt nur ein Zucken mit den Schultern. Unter dem gekräuselten Pony kann ich kaum ihre Augen sehen. „Vergänglichkeit meinst du?“ Ihre Locken wippen ein wenig mit dem Kopf. Ich weiß, sie stört die Küchenbeleuchtung – zu hell, sagt sie dann, viel zu hell und nichts kann mehr versteckt werden, dann lächelt sie wieder, ich mag die Schatten – würde sie sagen. Ihr Blick folgt den Tabakkrümel gegen die Tischkante. „Ja.“ sagt sie „Oder einfach die Vorstellung, dass es irgendwann einfach vorbei sein soll.“ Ihre Tasse ist mittlerweile leer aber der kleine Löffel klirrt gegen das Keramik, bei ihrem Versuch noch einen Tropfen heraus zu bekommen. Eigentlich hätte ich sie ganz herein bitten sollen. Aber es war wie immer so ein Moment dazwischen – als sie dann endlich vor der Tür stand. Irgendwann gähnte ich immer. Während der Regen so gegen die Scheiben prasselt, sehe ich ihren Kopf schräg in meine Richtung – so aus den Augenwinkeln. Und sie denkt, wann sagt er endlich etwas. „Willst du noch einen Tee?“ Ihre Locken wippen. Ein paar Sekunden Ruhe mit dem Rauschen des Wasserkochers und zum Scherz bewege ich meine Lippen, ohne Laute von mir zu geben – aber sie sieht nur die Tabakkrümel. „Bist du ein Geschichtenerzähler?“ fragt sie in den stillen Raum mit der Nase im dampfenden Wasser und ich verstehe sie nicht, kneife die Augen zusammen – „Naja – jemand der so aus dem Moment heraus eine Gesichte erzählen kann – so von Anfang bis Ende mit Spannungsbogen – so jetzt, in diesem Moment z.B. – kannst du das?“ Ihr Lippen öffnen sich für den leichten Hauch gegen die Tasse. Dann lächelt sie wieder. „Ich glaube, du bist kein Geschichtenerzähler.“ Und sie denkt, es war so viel besser – als wir noch kein Wort gesprochen hatten. Und sie denkt, ich gehe jetzt – auch wenn es regnet. „Eigentlich ist das die falsche Perspektive.“ sage ich nach einer Weile und ihre Tasse ist schon wieder leer. Aus den Augenwinkeln sehe ich ihren Kopf schräg gegen mich. „Du betrachtest es immer aus der Perspektive der Vergänglichkeit aber ich glaube, man muss es aus der Perspektive des Entstehens sehen.“ Etwas in ihr runzelt die Stirn. Sie denkt, ich gehe jetzt – aber ihre rußigen Finger bleiben auf der Tischfläche liegen – schwer. „Eigentlich ist das Leben wie ein Regen – so ein ewiger Regen – mal mehr, mal weniger – aber kontinuierlicher Regen – und jedes Dasein ist wie Tropfen und der Tropfen kommt auf und fließt dann langsam eine Fläche entlang und in diesem Fluss, in diesem langsamen Entgleiten, entlässt er seine Spur auf der Fläche. Natürlich – mit jedem Moment die Fläche entlang, mit jedem Millimeter Spur, verliert der Tropfen an Masse aber diese Masse ist nicht wirklich verloren – sie ist ja in der Spur und selbst wenn der Tropfen dann irgendwann verschwunden ist, bleibt doch seine Spur und die Ahnung um ihn. Und wie der Tropfen also seine Spur auf die Fläche entlässt, so entlässt jeder Mensch sein Dasein in die Welt – jeder Moment des Lebens hinterlässt eine Spur in der Welt, in anderen Menschen – immer – und am Ende ist man nicht einfach vorbei, sondern man ist in der Welt. Zerstreut – aber man ist.“ Grau, als sie dann geht. Berlin.

vakant (2/12)

3 Gedanken zu “vakant (2/12)

  1. Jan schreibt:

    Sehe ich anders als zeitspiegel. Es muss kein Gewicht haben. Finde ich schön mit den Spuren. Das verbindet uns. Und wenn es keine Spuren gibt, dann gab es doch diesen leichten Moment.

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    1. Genau – wenn wir den Blick für das Kleine, für den Moment verlieren…was bringt uns dann das Gewichtige? So verlagert man das Leben nur in Posen. Siehst du – nicht alles depri…manchmal auch schöne Gedanken.

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